Rentierfutter für 8 Euro

Beitrag veröffentlicht am: 18. Januar 2011

Rieckhallen: Nach einem guten Viertel des Kunstparcours bricht ein Sechsjähriger inmitten seiner gutbürgerlichen Familie weinend zusammen. Es ist nicht ein bockiges egozentrisches Schreien oder ein von Müdigkeit generiertes Nörgeljammern. Nein, es ist ein Weinen, das aus tiefstem Herzen kommt. Voll Verständnis und Mitleid fühle ich mit ihm, denn schluchzend klagt er: “Da hinten kommen nur noch die doofen Dinger.” – Das riecht nach vielen erlittenen Sonntagnachmittagen im Museum.

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Berlinische Galerie: Die fünfjährige Marta erklärt dem Vati, dass die Fotos des Tableaus Nan Goldins in ausschließlich einer Wohnung gemacht wurden. Auf Nachfrage, woher sie diese Gewissheit hätte, erklärt Marta nach kurzem Hin und Her keck: “Ich kenne eben das Museum genau.” – Klingt nach Museumspädagogik fürs Vorschulalter.

Hamburger Bahnhof: Das nenne ich ausgeklügeltes Museumsmarketing: In der Haupthalle ist ein blitzsauberer Zoo aufgebaut. Lebende Rentiere spielen subtil mit dem Fernweh des skadinaviophilen Prenzelbergbewohners. Die markengedressten Kleinen dürfen auf hygienisch reinen Fußbodenplatten umher tollen. Mamis schießen Schnapppics. Die raumgreifende Installation SOMA von Carsten Höller präsentiert sich als witzig intellektuelles Crossover von Kunst und Wissenschaft – viel Text über indische Götter, schamanische Tränke, Glück im Blindversuch und Völkerwanderung. Für jeden ist was dabei – videoüberwachte Fliegen, Versuchsmäuse in französischer Fünfzigerjahre-Spielplatzarchitektur en Miniatur, gewichtskontrollierte Kanarienvögel, tiefgefrorene Fliegenpilze und angeblich frisch abgefüllte Rentierpisse. Für den geneigten Bildungsbürger hält www.somainberlin.org den absoluten Clou bereit: Nachts im Museum für schlappe 1.000 Euro, Rentiercocktailverkostung inklusive.

Können Fliegen und Mäuse und Kanarienvögel für uns messbar glücklich sein? Wenn Soma bei Göttern und Menschen wirkt, muss es dann zwangsläufig bei anderen wirken? Wissenschaft? Kunst? Oder doch einfach nur Rentierfutter für 8 Euro?

Kommentare

  • Masha sagt:

    Ich denke, der Rentier-Soma-Versuch war eine subtile Art, sich mit den minderjährigen Prenzelbergern auszusöhnen. Eigentlich möchten die Kleinen bestimmt im richtigen Tierpark auf Matschwegen mit Kienäppeln die Rehe bewerfen. Und so bekommen sie wenigstens ein bißchen Stallduft und lebendes Bio-Fell. Vielleicht eine Art Winterferienspiele um sie auf milde Weise auf die bevorstehende Kunst-Saison inkl. Dokumenta 13 vorzubereiten.

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